Letzte Woche war ich in Neuss, um mit einem Kunden einen Persona Workshop durchzuführen. Inhaltlich und methodisch sind wir hier sehr gut aufgestellt und trotzdem kommen wir häufig auf einen völlig unrealistischen Proll Typen. Warum gibt es immer den Proll in den Personas – meine Analyse vom Wochenende.
Unsere Methode zu validen Personas kurz erklärt: Wir sammeln Zahlen aus dem Unternehmen und dem Markt und nehmen diese in den Kundenworkshop mit. Dort diskutieren wir mit einem möglichst interdisziplinären Team zu den vielseitigen Erkenntnissen im Unternehmen und bilden anschließend Segmente. 90% der Zeit vergeht mit den Segmenten, dann definieren wir eine Persona als Vertreter des Segments. Diese Personas sind die Vorgabe für Fokusgruppen, die für die Validierung zuständig sind.
Gestern, vor zwei Wochen und im Dezember hatten wir jeweils einen sehr ähnlichen Persona-Typ. Den Proll. Er kennt sich nicht mit Wein aus und kauft deshalb den teuersten oder namhaftesten. Dann in einem Workshop der Proll mit dem teuersten Mountainbike aber nur mittelmäßig sportlich und dann der Proll für Rolex aber ohne Fachkenntnis. Im Workshop tendiert man zum dämlichsten Bild und erstellt damit einen Prototyp des negativen Unsympathen. Zur Validierung der Workshopergebnisse frage ich dann immer „wer sieht sich denn wo“. Plötzlich muss die Hälfte der Workshopteilnehmer zugeben, dass sie eher Prolls sind. Das kann doch nicht sein, oder?
Motivationspsychologisch würde ich das Phänomen des Prolls dem Sein-Ziel zuordnen. Man will etwas haben, um etwas zu sein. Der Sozialpsychologe Erich Fromm hat das in seinen Thesen in den 60er und 70er Jahren völlig ausgeschlossen. In seinen bekannten Büchern schreibt er vom Existenzmodus Haben und dem Existenzmodus Sein, die absolut unversöhnlich sind und gegensätzliche Welten aufzeigen. Bei den Sein-Zielen geht es seiner Meinung nach um Wissen, Glauben, Liebe, Reden, Lernen etc… und bei den Haben-Zielen nur um sinnlose Anschaffungen und Raffgier. Diese Sichtweise ist wohl heute nicht mehr gültig.
Wir leben in einer voll durchoptimierten, materialistischen Welt, so dass eine Trennung überhaupt nicht mehr möglich ist. Jedes Sein-Ziel ist auch mit dem Besitz von Dingen verknüpft. Ich kaufe Bio, Nachhaltig, Regional oder sogar einen Tesla und drücke dadurch ein besonderes Sein-Ziel aus. So ist es zu erklären, dass Haben und Besitz doch happy machen, weil sie stark auf meine persönliche Identität einzahlen. Es wird schwierig, einen bösen und einen guten Konsum zu definieren.
Der „Proll“ ist daher wohl eher ein potentieller Kunde und eine Persona, die durch Konsum glücklich gemacht werden kann. Man will haben, kaufen und besitzen, um an seinem individuellen Lifestyle zu arbeiten. Der „Proll“ hat deshalb als Persona einen positiven Namen verdient, weil er zu den spannendsten Kunden gehört.